Die SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag bekräftigt ihre Forderung nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren. In der Landtagsdebatte am 25. November erklärte die SPD-Abgeordnete Sigrid Leuschner: „Jedem hier im Hause ist bewusst, dass ein Verbot rechtsextremistischer Parteien allein nicht ausreicht, um antisemitische, rassistische und rechtsextreme Orientierungen in der Bevölkerung zu verhindern. Aber ein NPD-Verbotsverfahren ist eine Möglichkeit, die Aktionen der menschenverachtend agierenden Protagonisten einzuschränken.“ Die NPD hetze gegen Andersdenkende und Migranten. Sie verleugne die NS-Verbrechen und schüre antisemitisches Gedankengut.

„Wir fordern die Landesregierung auf, ein Verbotsverfahren gegen die NPD jetzt in Kooperation mit anderen Bundesländern erneut aktiv voranzutreiben. Die Landesregierung muss dafür Sorge tragen, dass ein neuerliches Verbotsverfahren nicht an der V-Leute-Problematik scheitert“, sagte die Rechtsextremismus-Expertin der SPD-Fraktion. Die Landesregierung stehe in der Pflicht, die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten.

Leuschner warf Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vor, die Gefahren des Rechtsextremismus zu unterschätzen. Schünemann ignoriere die Entwicklung eines modernisierten Rechtsextremismus und dass sich das Gesicht der NPD verändert habe. Deshalb müssten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus interdisziplinär ansetzen und auf Stetigkeit ausgerichtet sein. „Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Menschenrechtsbildung auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgebaut wird“, sagte Leuschner.

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Sigrid Leuschner während ihrer Rede zu den Anträgen zum NPD-Verbotsverfahren
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Sigrid Leuschner am Rednerpult

Nachfolgend können Sie das Redemanuskript lesen.

Rede der Landtagsabgeordneten Sigrid Leuschner 52. Plenarsitzung am 25. November 2009 zu TOP 16: Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drs. 16/1047 Ein erneutes NPD-Verbotsverfahren vorbereiten – Sämtliche V-Leute aus NPD-Gremien umgehend „abschalten“ Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration, Drs. 16/1831 Einzige (abschließende) Beratung und zu TOP 17 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 16/1048 Erneutes NPD-Verbotsverfahren vorbereiten – V-Leute abschalten! Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration, Drs. 16/1832 Einzige (abschließende) Beratung und zu TOP 18 Antrag der Fraktion der SPD, Drs. 16/1637 NPD-Verbotsverfahren jetzt einleiten! Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration, Drs. 16/1833 Zweite Beratung

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

wir debattieren heute in der abschließenden Beratung erneut über unseren Antrag zum NPD-Verbotsverfahren.

Anrede, jedem hier im Hause ist bewusst, dass ein Verbot rechtsextremistischer Parteien allein nicht ausreicht, um antisemitische, rassistische und rechtsextreme Orientierungen in der Bevölkerung zu verhindern. Dieses hat meine Kollegin Johanne Modder in Ihrer Einbringungsrede zum Ausdruck gebracht.

Aber, Anrede, ein NPD-Verbotsverfahren ist eine Möglichkeit, die Aktionen der menschenverachtend agierenden Protagonisten einzuschränken.

Wir fordern die Landesregierung auf, ein Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) jetzt in Kooperation mit den anderen Bundesländern erneut aktiv voranzutreiben.

Uns allen ist klar, dass die NPD nach wie vor eine Bedrohung für unsere Demokratie ist. Wo immer die NPD auftritt, in Parlamenten, auf Kundgebungen und Demonstrationen, stellt sie die Werte einer offenen Gesellschaft infrage.

Sie hetzt gegen Andersdenkende und Migrantinnen und Migranten. Sie verleugnet die Verbrechen des Nationalsozialismus und schürt antisemitisches Gedankengut.

Es ist bekannt, dass Akteurinnen und Akteure im Umfeld der NPD immer stärker werdende Vernetzungen zu Skinheads und Autonomen Nationalisten haben.

Aber es stellen sich in vielen Städten Niedersachsens immer mehr Menschen, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, friedlich den Neonazis entgegen.

Anrede, es ist nach wie vor Aufgabe von Politik, genau hinzuschauen, wenn das Handeln einer Partei, die sich erheblich aus staatlichen Mitteln finanziert, für die Demokratie bedenkliche Entwicklungen zeigt.

Vor allem dann, wenn diese Partei das mit dem Ziel macht, die Demokratie abzuschaffen und aggressiv auf dieses Ziel hinarbeitet.

Auch mit dem Tod von Herrn Rieger hat sich nichts an der grundsätzlichen Gefährlichkeit der NPD und ihrer Akteure für unsere Demokratie geändert.

Die NPD hat in den letzten Jahren in Niedersachsen zunehmend die Kooperation mit der rechtsextremistischen Szene systematisch ausgebaut.

Sie agiert sozusagen als Schirmherrin für viele Demonstrationen und Veranstaltungen und nutzt dafür ihr Parteienprivileg. Dieses wurde am 12. September bei der Demonstration der NPD in der Landeshauptstadt Hannover deutlich.

Daher ist es bedauerlich, dass Sie, meine Damen und Herren der CDU und FDP-Fraktionen, auch nach den Beratungen im Fachausschuss immer noch nicht bereit sind, ihre Blockadehaltung gegen die Wiederaufnahme eines NPD-Verbotsverfahrens aufzugeben.

Anrede, der SPD-Fraktion ist klar, dass die Prüfung einer erneuten Aufnahme eines NPD-Verbotsverfahren sehr sorgfältig erfolgen muss und nicht einfach ist. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass jetzt gehandelt werden muss.

Die Landesregierung, und vor allem Sie, Herr Innenminister Schünemann, müssen in diesem Zusammenhang dafür Sorge zu tragen, dass ein neuerliches Verbotsverfahren nicht an der V-Leute-Problematik scheitert. Die Landesregierung steht daher in der Pflicht, die klaren und Ihnen wohl bekannten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten.

Herr Innenminister Schünemann, Sie wissen ebenso wie wir, dass als Voraussetzung für die Einleitung eines erneuten Verbotsverfahren gegen die NPD die vorherige Einschränkung der Beobachtung dieser Partei durch den Verfassungsschutz erfolgen muss.

In seiner Begründung führte das Gericht an, solange sich V-Leute in den Führungsgremien dieser Partei – also in den Landesvorständen, bzw. im Bundesvorstand - befinden, kann ein Verbotsverfahren nicht erfolgreich betrieben werden.

In seinem Beschluss von 2003 hat das Gericht ausgeführt, dass allein eine staatliche Präsenz, also bezahlte Informanten, in der Führungsebene einer Partei ausreichen würde, ein erneutes Verbotsverfahren scheitern lassen zu können.

Als V-Leute hat das Gericht auch vom Parteiprogramm überzeugte Parteimitglieder gezählt, die vom Verfassungsschutz erfolgreich als Informanten gewonnen werden konnten.

Gegner einer erneuten Prüfung eines NPD-Verbotsverfahrens behaupten gern, dass ein erneutes Scheitern dem Rechtsextremismus weiteren Auftrieb geben würde.

Wir teilen dieses Argument nicht. Die SPD-Landtagsfraktion hält es nach wie vor für notwendig, ein erneutes NPD-Verbotsverfahren anzustreben.

Dafür ist es erforderlich, dass vor dem Einleiten eines Verfahrens alle Informanten aus den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Gremien in der NPD abgeschaltet werden müssen.

V-Leute sind keineswegs von den Sicherheitsbehörden eingeschleuste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die innerhalb der NPD agieren, sondern Mitglieder der rechten Szene, auch NPD-Führungskräfte, die für ihre Informantentätigkeit bezahlt werden.

Meine Damen und Herren, die SPD-Landtagsfraktion hat sich Ihre Entscheidung reiflich überlegt.

Zumal uns aus Fachkreisen entgegengehalten worden ist, man könne auf den Erkenntnisgewinn durch V-Leute nicht verzichten, da man dann nicht mehr in der Lage sei, über einen längeren Zeitraum die Entwicklung von Gewaltbereitschaft, die Absicht oder gar die konkrete Planungen von gewalttätigen Aktionen beobachten zu können.

Anrede, wir haben einerseits diese Bedenken natürlich ernst genommen, aber andererseits ermöglicht erst der Parteienstatus es der NPD, ihre Strukturen weiter ausbauen und gegen unsere Demokratie agieren zu können.

Ich finde es unerträglich, dass die NPD nach wie vor durch Steuergelder finanziert wird und ihre aggressiv-kämpferische und menschenverachtende Grundhaltung gegen unsere Demokratie weiterhin öffentlich an den Tag legen kann.

Im Mai 2009 haben die amtierenden SPD-Innenminister der Länder eine umfangreiche Materialsammlung vorgelegt, welche die verfassungsfeindliche Haltung der der NPD dokumentiert – und zwar ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen.

Die von den SPD-Innenministern vorgelegte Quellensammlung ist meiner Meinung nach ein sehr erfolgversprechender Ansatz, dieses Mal Material vorlegen zu können, dass sich jetzt auf bessere Quellen stützt.

Schon jetzt lässt sich belegen, dass die NPD, systematisch gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung vorgeht.

Ihr ungebrochenes Verhältnis zur Gewalt- und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus und eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung kann nachgewiesen werden.

Herr Innenminister Schünemann, Sie setzen in der Auseinandersetzung mit der NPD darauf, diese Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Aber es gibt hierfür aktuell keine rechtliche Grundlage. Als Voraussetzung dafür müsste zunächst einmal das Grundgesetz geändert werden, das räumt selbst der Gutachter Prof. Lessing ein. Und es ist äußerst ungewiss, ob eine solche Änderung Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht hätte.

Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, Herr Innenminister, warum Sie auf einen Umweg mit ungewissem Ausgang setzen und nicht den eindeutigen Weg des Verbotsverfahrens gehen wollen?

Anrede, ich wiederhole noch einmal, die SPD-Landtagsfraktion ist sich bewusst darüber, dass ein Verbot allein nicht ausreicht, um antisemitische, rassistische und rechtsextreme Orientierungen in der Bevölkerung zu verhindern.

Natürlich muss die politische Auseinandersetzung und die Aufklärung über die Ursachen von Rechtsextremismus auch weiterhin geführt werden; dies ist selbstverständlich.

Der SPD-Fraktion hält es deswegen für notwendig, dass die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem gefährlichen Gedankengut der extremen Rechten von allen demokratischen Parteien gemeinsam verstärkt und offensiv geführt wird.

Maßnahmen gegen Rechtsextremismus müssen deshalb interdisziplinär ansetzen und auf Stetigkeit ausgerichtet sein. Wir haben dieses in unserem Entschließungsantrag „Demokratieerfahrungen fördern, Partizipationsmöglichkeiten stärken, den Integrationsgedanken und Menschenrechtsbildung ausbauen – Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus“ ausführlich dargelegt.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ihre Maßnahmen gegen Rechtsextremismus greifen einfach zu kurz. Wir müssen gemeinsam mehr tun.

Ihre Fachtagung zum Thema Rechtsextremismus, Herr Innenminister Schünemann, war gut, aber dies reicht nicht aus.

Sie, Herr Minister Schünemann, unterschätzen nach wie vor die Gefahren des Rechtsextremismus. Sie ignorieren die Entwicklung eines modernisierten Rechtsextremismus, der einen messbaren Zuspruch gerade bei jüngeren Menschen erfährt und dass sich das Gesicht der NPD verändert hat. Herr Innenminister Schünemann, Sie setzen immer noch fälschlicherweise Extremismen miteinander gleich.

Anrede, Sie haben die Landeszentrale für politische Bildung, die ein gutes Instrument gegen Rechtsextremismus war, aufgelöst. Deshalb stehen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, auch in einer besonderen Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass Menschenrechtsbildung auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgebaut wird.

Ich möchte in diesem Zusammenhang Stefan Gosepath zitieren, der gesagt hat:

„Wir müssen Menschenrechtsbildung ausbauen, denn sie sind der Code der Weltgesellschaft. Daran kann jeder glauben und sich für ihren Erhalt und Ausbau einsetzen – als Buddhist, als Muslim, als Jude, als Christ und als Atheist.“

Anrede, uns ist klar, dass sich mit einem Verbotsverfahren gegen die NPD unsere Arbeit im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht erledigen wird.

Aber ein Verbot dieser Partei würde die jetzt gegebenen Aktionsmöglichkeiten des Rechtsextremismus erheblich einschränken.

Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.