"Wir machen Witze über Griechenland, aber dass die Bundesrepublik auf demselben Weg ist, machen wir uns nicht klar", so Stephan Weil gestern unter Anspielung auf das vom Staatsbankrott bedrohte EU-Land. Die kommunalen Finanzen in Deutschland befänden sich in einem rasanten Sinkflug, es sei so "bitter und düster" wie och nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Schreibt die HAZ am 27.03. "Die Unterfinanzierung der Kommunen wird man am Zustand der Straßen, aber auch von öffentlichen Gebäuden erkennen",

sagt der Oberbürgermeister.

Politik machen bedeutet Prioritäten setzen. Und das findet in Hannover statt. Die durch den harten Winter demolierten Straßen werden nur provisorisch geflickt. Vorrang haben zur Zeit Investitionen in Schulen und Kindertagesstätten. Investitionen in andere Bereiche müssen zurückstehen.

Schuld sind die Ausgaben, die den Kommunen von Land und Bund aufgedrückt werden. "Ganz arm dran - Städte in Not" betont Gunnar Menkens im Kommentar und beschreibt: "Auf lange Sicht betrachtet kann es nicht mit der Jahrzehnte geübten Abschiebepraxis weitergehen, dass Bund - und auch die Länder - Dinge beschließen, die Gemeinden bezahlen müssen. Bei der Kinderbetreuung ist das zum Beispiel so."

Kinderbetreuung und Schulpolitik - zwei Bereiche, in denen Deutschland ein Entwicklungsland ist und in denen irgendwie Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit und Verschwendungssucht zu verzeichnen sind. Statt Infrastruktur bei der Kinderbetreuung aufzubauen, bekommen Eltern Geld, die ihre Kinder nicht in Einrichtungen bringen, obwohl oft gerade diese Kinder für ihre Entwicklung diese Unterstützung benötigen. Obwohl Ganztangs- und Gesamtschulen aus gutem Grund europäischer Standard sind, werden Lehrerstunden in die Aufrechterhaltung kleiner und kleinster Hauptschulen verschwendet.

"Zwölf Milliarden Euro fehlen Deutschlands Kommunen am Ende des Jahres, denn als Folge der Wirtschaftskrise fehlen Steuereinnahmen, während gleichzeitig Sozialausgaben eklatant steigen, etwa für Hartz-IV-Empfänger." (Gunnar Menkens, HAZ, 27.03.2010).

"Die Verantwortung für das Finanzdesaster sieht Weil vor allem bei der schwarzgelben Bundesregierung in Berlin. Die dort bislang beschlossenen Steuererleichterungen etwa würden die Stadt Hannover jährlich 13 bis 14 Millionen Euro kosten. 'In Berlin sind finanzpolitische Geisterfahrer unterwegs, die sogar schon die Verkehrsregeln bestimmen dürfen', so das Resümee des Oberbürgermeisters. Wärend die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen schrumpften, würden die Sozialausgaben steigen. Weil forderte eine Strukturreform für die kommunalen Finanzen. So müsse die Gewerbesteuer auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Weil richtete seine Kritik auch an die Adresse der schwarz-gelben Landesregierung. Niedersachsen habe den Steuererleichterungen im Bundesrat zugestimmt und damit den Städten und Gemeinden im Land geschadet." (HAZ, 27.03.2010).

Auf seiner Homepage www.stephan-weil.de berichtet Stephan Weil am 01.03.2010 von der Tagung des deutschen Städtebundes:

"Die Stimmung unter den deutschen Bürgermeistern ist miserabel, die Städte befinden sich in der tiefsten Finanzkrise seit mehr als 60 Jahren. Gleichzeitig hat in Berlin die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die u. a. Alternativen zur Gewerbesteuer erarbeiten soll. Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Kommunalsteuer in Deutschland mit einem Aufkommen von etwa 40 Milliarden Euro. Sie ist eine Wirtschaftssteuer und deswegen naturgemäß vielen Unternehmen ein Dorn im Auge. Und weil sie eine Wirtschaftssteuer ist, schwankt sie in ihrem Aufkommen auch nicht unbeträchtlich, schließlich kennen viele Unternehmen ein Auf und Ab. Aber nichts desto trotz ist die Gewerbesteuer eine gute Steuer, die für die meisten Städte von existentieller Bedeutung ist.

Versuche, diese Steuer zu schleifen, gab es schon viele. Den Kommunen werden große Verheißungen gemacht: Es ginge darum, ihr Steueraufkommen sicherer und weniger schwankend zu machen, heißt es. Durch kommunale Zuschläge auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer zum Beispiel oder einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer. Dabei handelt es sich meines Erachtens um Vorwände.

Es geht im Kern um etwas anderes, um weitere Steuergeschenke für die Wirtschaft und um Steuererhöhungen für die Bürger. Warum? Nun, die Gewerbesteuer wird einzig und allein von den Unternehmen bezahlt. Wenn sie ersetzt wird durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommenssteuer, zahlen die Bürger - so einfach ist das. Und ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer setzt voraus, dass Bund und Länder auf Einnahmen in Milliardenhöhe verzichten. Wer´s glaubt, wird selig. Da ist denn doch schon eher die Erhöhung der Mehrwertsteuer realistisch, und die bezahlen bekanntlich auch die Bürger.

Irgendjemand zahlt also die Zeche, die Bürger oder die Kommunen.

Dass diese Diskussion genau in dem Moment geführt wird, in dem die deutschen Kämmerer in Abgründe blicken, ist unverantwortlich. Weitere Einnahmeausfälle bedeuten für viele Städte - auch für Hannover - , dass sie nach menschlichem Ermessen keine Chance mehr, finanziell wieder auf die Beine zu kommen.

Notwendig ist genau das Gegenteil, eine Stabilisierung und Stärkung der kommunalen Finanzbasis.

Warum müssen eigentlich Malermeister Gewerbesteuer zahlen, ihre Rechtsanwälte und Steuerberater aber nicht?

Für eine Stärkung der Gewerbesteuer bieten sich viele Möglichkeiten und das wäre ein gutes Programm für die neue Regierungskommission."

Hans-Dieter Keil-Süllow