Sigrid Leuschner sprach in der Plenarsitzung am 19. Januar 2011 zur abschließenden gemeinsamen Beratung des Entschließungsantrags der SPD-Landtagsfraktion „Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen“ mit dem Antrag der Fraktionen der CDU und FDP „Extremismus weiter konsequent bekämpfen – keine pauschale Gleichsetzung!“.

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Sigrid Leuschner während ihrer Rede

Rede der Landtagsabgeordneten Sigrid Leuschner (SPD):
94. Plenarsitzung am 19. Januar 2011 zu TOP 11:
a) Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen
Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/2288 neu
Zweite Beratung
b) Extremismus weiter konsequent bekämpfen – keine pauschale Gleichsetzung!
Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP – Drs. 16/2989
Erste und einzige Beratung

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

wir haben bereits in der Plenarsitzung am 18. März 2010 unseren Antrag „Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen“ eingebracht.

Ziel unseres Antrags war, dass die Landesregierung es künftig unterlässt, Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichzusetzen und stattdessen differenziert, den Extremismusformen, ihrer Ursachen und ihrer unterschiedlichen ideengeschichtlichen Grundlagen entgegentritt.
Wir haben uns gegen die zunehmende Tendenz der Landesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen gewandt, jegliche kapitalismuskritischen Ansichten und Äußerungen linker demokratischer Vertreterinnen und Vertreter undifferenziert in die Nähe des Extremismus zu rücken.
Dies gilt in besondere Weise für sozialdemokratische Grundsatzpositionen wie z. B. zum Demokratischen Sozialismus und zur Wirtschaftsdemokratie.

Meine Damen und Herren von der FDP, in diesem Zusammenhang finden wir es besonders zynisch, dass ihr Bundesvorsitzender Guido Westerwelle in einem Interview für den „Tagesspiegel am Sonntag“ am 16. 01. dieses Jahres gesagt hat - ich zitiere:

„Einen menschlichen Kommunismus oder einen demokratischen Sozialismus gibt es ebenso wenig wie einen vegetarischen Schlachthof.“

Ihr Bundesvorsitzender, meine Damen und Herren, diffamiert hiermit in einer unglaublichen Art und Weise unser Grundsatzprogramm, das Hamburger Programm von 2007,
in dem wir unser Bekenntnis zum Demokratischen Sozialismus erneut bekräftigt haben und das lassen wir uns nicht bieten!

Ich zitiere aus dem Hamburger Programm, dort heißt es:
Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des Demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der Demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handels ist die soziale Demokratie.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wenden uns gegen die schablonenhafte Gleichsetzung von demokratischen linken Traditionen mit fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und antidemokratischen Positionen von Rechtsextremisten.

Als unser Antrag im Fachausschuss Mitte April 2010 erstmals beraten wurde, hatten Sie, Herr Biallas, bereits vollmundig einen Änderungsantrag angekündigt.

Aber dieser Antrag wurde dann von Ihnen nicht umgehend vorgelegt. Stattdessen wurde die Beratung unseres Antrags bis zum November immer wieder verschoben, da Sie stets einen Änderungsantrag ankündigten.

Und was mussten wir dann sehen?

Statt des angekündigten Änderungsantrags haben Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, dann einen eigenen neuen Antrag unter der Überschrift „Extremismus weiter konsequent bekämpfen – keine pauschale Gleichsetzung!“ vorgelegt.

Gleich in der Überschrift soll wohl suggeriert werden, meine Damen und Herren von der CDU und FDP, dass sie dazu gelernt haben.

Dieser Eindruck soll mit der Übernahme der ersten beiden Ansätze unseres Antrags verstärkt werden.

Aber bereits im dritten Absatz führen Sie in ihren Aussagen eine historische Verfälschung als Tatsache an. Hier heißt es:
„Der Niedersächsische Landtag erinnert daran, dass die Bundesrepublik Deutschland und ihr Grundgesetz vor dem Hintergrund des Krieges und der Erfahrungen mit zwei Diktaturen in Deutschland auf einem antitotalitären und antiextremistischen Konsens sowie dem Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie gründen.“

Das Grundgesetz, das 1949 beschlossen wurde, ist nicht vor dem Hintergrund der Erfahrung zweier Diktaturen in Deutschland entstanden!

Seine Wurzeln liegen in den Ideen des Humanismus und der Aufklärung und in der Analyse der Ursachen und den schrecklichen und menschenverachtenden Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Die DDR existierte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, denn erst eine Woche nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden am 30.05.49 die Vorraussetzungen für ihre Gründung am 07. Oktober geschaffen.

Maßgeblich war für die Mitglieder des parlamentarischen Rates die Erfahrung mit einer Diktatur, der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Daneben schlugen sich noch Lehren aus dem vorherigen Scheitern der Weimarer Republik nieder.

Auch der Hinweis auf ein Zitat des sozialdemokratischen Politikwissenschaftlers Richard Löwenthal, welches wir inhaltlich unterstützen, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass sie falsche historische Angaben verwenden und durch ihren Hinweis auf „einem antitotalitären und antiextremistischen Konsens“ in diesem Absatz wieder eine Gleichsetzung vornehmen wollen. Unser Grundgesetz ist aus der Erkenntnis, dass niemals wieder eine Verbindung von sozialen mit genetischen Fragen vorgenommen werden soll, als Lehre aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, entstanden.

Einen antitotalitären Ansatz gab es zu dieser Zeit noch gar nicht. Hannah Arendt hatte ihr Erstwerk 1951 veröffentlicht, 1955 erschien es erst in deutscher Übersetzung. Die SPD-Landtagsfraktion steht der Totalitarismustheorie kritisch gegenüber. Dies gilt auch fast für die gesamte Fachöffentlichkeit. Dies habe ich schon häufiger erwähnt.

Im vierten Absatz ihres Antrags werden sie wieder deutlicher und lassen nun endlich „die Katze aus dem Sack“.

Natürlich sind wir für eine Gemeinsamkeit der Demokraten.
Aber was meinen Sie beispielsweise mit ihrer Forderung nach einer klaren Grenze zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten?

Liegt es ausschließlich in der Definitionshoheit der Landesregierung, des Innenministeriums und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, wo diese Grenzen zu ziehen sind?

Sie wissen, Anrede, von den Koalitionsfraktionen, dass wir eine generelle Überwachung der Partei DIE LINKE durch den niedersächsischen Verfassungsschutz ablehnen. Bei einzelnen Personen, Arbeitsgemeinschaften und Gruppierungen sehen wir das anders, aber dass brauche ich hier nicht nochmals zu betonen.

Beurteilen Sie, Anrede, von CDU und FDP, etwa frühere und bestehende Koalitionen zwischen SPD und Linke als undemokratische Bündnisse, während aber Bündnisse oder andere Formen der Zusammenarbeit zwischen CDU und den Linken, wie sie in vielen Kommunen in den neuen Ländern existieren, dann als demokratische Bündnisse?

Und wie beurteilen Sie im Nachhinein Ihre Zusammenarbeit mit der Schill-Partei in Hamburg?

Sie betonen in einem weiteren Abschnitt ihres Antrags die Notwendigkeit eines breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus. Dies können wir nur unterstützen!

Dies ist besonders notwendig nach den Erkenntnissen der neuesten Studie der FES „Die Mitte in der Krise“ vom Oktober 2010. In ihr wird erneut eine steigende Zustimmung zu Aussagen mit chauvinistischen, ausländerfeindlichen und sozialdarwinistischen Inhalt festgestellt.

Auch der Wunsch nach einer Diktatur hat zugenommen. Die stärker gewordene Akzeptanz dieser Werte gefährdet unsere Demokratie. Sie sind als Einstiegsmuster für ein rechtsextremes Weltbild zu sehen. Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Bevölkerungsgruppen vorhanden und reichen bis weit in die Mitte hinein. Die wirtschaftliche Krise fördert eine Zunahme rechtsextremer Einstellungen. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen ist in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen in verstärktem Maße anzutreffen. Neu ist in der aktuellen Studie, dass Ressentiments gegenüber Muslimen in unserer Gesellschaft zugenommen haben.

Deshalb ist ein interdisziplinäres, abgestimmtes Handlungskonzept gegen die Ursachen von Rechtsextremismus überfällig.

Anrede, die Niedersächsische Landesregierung führt zwar Maßnahmen zur Bekämpfung gegen Rechtsextremismus durch, aber etliche sind schon zu unserer Regierungszeit entstanden und werden nur fortgeführt.

Anrede, ich habe schon mehrfach betont, dass Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auf Stetigkeit angelegt sein müssen.

Wir fordern ein integratives Konzept, dass neben repressiven auch sozial- sowie bildungs- und integrationspolitische Maßnahmen einschließt.

Isolierte Einzelmaßnahmen der Landesregierung wie z. B. die Förderung von „Demokratielotsen“ haben nur eine stark eingeschränkte Wirkung, weil sie eben nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet sind.

Außerdem stellen sich die Fragen, wer Demokratielotsen auswählt und wie und von wem sie ausgebildet werden und wo sie letztlich eingesetzt werden sollen?

Sie sagen in ihrem Antrag beispielsweise, dass der Niedersächsische Landtag es für wichtig halten soll, dass bei der Bekämpfung des Extremismus in allen seinen Erscheinungsformen die ideengeschichtlichen Grundlagen und die historischen Zusammenhänge differenziert dargestellt werden müssen und eine pauschale Gleichsetzung der Extremismusphänomene abzulehnen sei. Und weiter:
Sie „zu einer umfassenden Betrachtung und Bewertung des Extremismus und der von ihm ausgehenden Gefahren anführen, dass es allerdings auf die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Extremismusphänomene hinzuweisen“, sei.

Sie führen als Beleg an, dass trotz ihrer ideologischen Gegensätze sich die Erscheinungsformen politischer Extremismen zum Verwechseln ähnlich sein können, wie sich beispielsweise an der autonomen Szene zeige.
Dabei, Anrede, von den Koalitionsfraktionen blenden Sie aus, dass Gemeinsamkeiten zwischen rechts- und linksextremen Autonomen nur auf der Oberfläche vorhanden sind.
Allein Gewalt als Indikator für Extremismus anzuführen, ist falsch.

Gewaltphänomene müssen immer wieder auf ihre Ursachen hin untersucht werden. Wie beurteilen Sie beispielsweise Gewalttaten von Rockern und Hooligans oder Gewalt von Jugendlichen gegen Sachen und Menschen?
Sie verwischen damit, dass bei Rechtsextremisten Gewalt Bestandteil ihrer Ideologie ist.

Dies manifestiert sich z. B. in dem Recht des Stärkeren über den Schwächeren oder einem Herrschaftsanspruch durch Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, die sich dazu ausgewählt hält, Herrschaft über andere mittels Gewalt ausüben zu können.

Dies rechtfertigt aus Sicht der Rechtsextremisten die Unterdrückung und Ausübung von Gewalt gegen Menschen oder gar deren Ermordung.

Die von Ihnen „als einzigartiger Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten mit der systematischen Ermordung von Millionen von Menschen, insbesondere Juden“ (…), bezeichnete Aussage ist richtig, sie greift jedoch einfach zu kurz, weil darüber hinaus weitere tausende andere Opfer des Nationalsozialismus zu betrauern sind.

Sinti und Roma, Menschen des politischen Widerstands, des christlichen Widerstands, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit einer anderen Hautfarbe.

Außerdem muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass damals die Mitte der Gesellschaft dafür verantwortlich war, dass Vertreter dieser menschenverachtenden Ideologie die Macht übertragen bekommen haben.

Wir müssen also alles daran setzen, die Zustimmung zu dieser Ideologie in der Mitte der Gesellschaft zu verhindern.

Die SPD-Landtagsfraktion meint auch nicht, dass Präventionsarbeit von der Niedersächsischen Extremismus-Informationstelle (NEIS) im Niedersächsischen Verfassungsschutz ausgeübt werden sollte. In vielen Veröffentlichungen dieser Informationsstelle ist ein undifferenzierter Umgang mit den Ursachen von Rechts- und Linksextremismus deutlich geworden, den wir bei der Plenardebatte im März letzten Jahres deutlich gemacht haben.

Vielmehr ist eine unabhängige Bildungsinstitution im Sinne der Landeszentrale für politische Bildung notwendig.

Sie haben, meine Damen und Herren von der CDU/FDP seit der Einbringung unseres Antrages fast zehn Monate vergehen lassen!

Zur Bekämpfung von Rechtsextremismus bedarf es interdisziplinärer Handlungsansätze.
Diese haben wir in unserem Antrag aufgezeigt.
Deshalb haben wir in unserem Antrag diverse Forderungen aufgestellt. Unser Antrag enthält ein Handlungskonzept. Dies fehlt in ihrem jetzt eingereichten Antrag „Extremismus weiter konsequent bekämpfen – keine pauschale Gleichsetzung“!

Wir haben in unserem Antrag beispielsweise die Landesregierung aufgefordert, differenziert auf die jeweiligen Ursachen einzugehen und unterschiedliche Handlungsansätze gegen Rechtsextremismus und Linksextremismus zu entwickeln.

Wir haben die Landesregierung aufgefordert, sich im Kampf gegen den Extremismus auf die Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu konzentrieren, anstatt undifferenziert Kapitalismuskritiker zu kriminalisieren.

Wir wollen, dass sich der Verfassungsschutz in Niedersachsen wieder auf seine gesetzliche Aufgabe - die Abwehr von Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung - konzentriert.

Politisch agitatorische und undifferenzierte Auseinandersetzungen mit politischen Positionen lehnen wir ab.

Wir wollen, dass auf Landes- und Bundesebene keine Umschichtungen von Haushaltsmitteln zulasten von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vorgenommen werden.
Wir fordern die Neugründung einer unabhängigen politischen Bildungseinrichtung im Sinne der Landeszentrale für politische Bildung.

Ihr soll wieder die Aufgabe der gesellschaftspolitischen Bildungs- und Aufklärungsarbeit übertragen werden.

Anrede, Ihnen liegt der Antrag der SPD-Landtagsfraktion zum Thema „Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen“ vor, der einen differenzierten Umgang in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Linksextremismus fordert.

Dafür bitten wir Sie, meine Damen und Herren um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag!
In Ihrem Antrag hingegen, meine Damen und Herren, von der CDU/FDP, tun Sie nur so als wollten etwas tun! Konkrete Handlungskonzepte fehlen bei Ihnen völlig!
Aus diesen und den in meiner Rede ausgeführten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab.

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