Die laufenden Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandels- abkommen (TTIP) haben eine intensive gesellschaftliche Debatte über Chancen und Risiken eines solchen Abkommens angestoßen. Viele Menschen verbinden mit den TTIP-Verhandlungen erhebliche Sorgen. Vor allem haben sie die Befürchtung, dass durch TTIP bewährte Rechte und Standards in Europa etwa bei Arbeitnehmerrechten, dem Verbraucher, Umwelt- und Gesundheitsschutz, der öffentlichen Daseinsvorsorge, bei Kultur, Tierschutz oder ...

oder bei Lebensmitteln unterlaufen werden könnten. Diese Sorgen nehmen wir sehr ernst. Zu einem Abbau von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Standards darf es durch ein transatlantisches Freihandelsabkommen nicht kommen.

Es muss seinen Wert umgekehrt darin beweisen, dass es zu Fortschritten beim Schutz von Arbeitnehmerrechten, dem Verbraucherschutz und nachhaltigem Wirtschaften im globalen Maßstab beiträgt. Ein transatlantisches Handelsabkommen kann die Chance eröffnen, dass mit Europa und den USA die zwei größten Handelsräume weltweit zusammenwachsen und Maßstäbe setzen. Diese normsetzende Kraft des Abkommens kann zum Hebel einer politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung werden.

Angesichts der Fragen und Sorgen vieler Menschen, von Gewerkschaften, NGOs, Verbraucherverbänden und Bürgerinitiativen ist es dringend notwendig, dass die Verhandlungen über TTIP mit größtmöglicher Transparenz geführt werden und möglichst viele Menschen sowie Gruppen der Zivilgesellschaft einbeziehen. Die SPD setzt sich von Beginn an dafür ein, dass die TTIP-Verhandlungen breit, und wo nötig auch kritisch, öffentlich begleitet werden können. Einige Fortschritte konnten auf diesem Weg bereits erreicht werden: Sowohl im Bundestag als auch dem Bundesrat hat eine intensive Beschäftigung mit TTIP eingesetzt.

Auch hat der Bundeswirtschaftsminister einen zivilgesellschaftlichen TTIP-Beirat in Deutschland eingerichtet, um Transparenz und Teilhabe zu erhöhen. Ebenso konnte der Zugang zu Informationen über die Inhalte und die Fortschritte der Verhandlungen verbessert werden.

Für hohe Standards bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucher- und Umweltschutz, der Daseinsvorsorge sowie für hohe demokratische und rechtstaatliche Standards Der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Bundesminister für Wirtschaft und Energie haben gemeinsame Ziele und Anforderungen an die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) formuliert.

Der Parteikonvent der SPD unterstützt Bundeswirtschaftminister Sigmar Gabriel ausdrücklich, die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) auf der Grundlage des gemeinsamen Papiers von Wirtschaftsministerium und DGB sowie des Beschlusses des Parteikonvents fortzuführen:

1. Handelsgespräche zwischen den großen Wirtschaftsräumen USA und EU, die in ein Freihandelsabkommen münden, eröffnen die Chance die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltiger zu gestalten. Das Abkommen könnte auch dazu beitragen, faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen. Es geht darum, zusätzlichen Wohlstand tatsächlich breiten Bevölkerungsschichten zukommen zu lassen, wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards zu verbessern, sowie faire Wettbewerbs- und gute
Arbeitsbedingungen zu schaffen.

2. Die Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) müssen mit dieser Zielsetzung geführt werden. Geheimhaltungsvorschriften und Intransparenz dürfen eine angemessene öffentliche Debatte nicht verhindern. Dabei sind die Ergebnisse einer laufenden, umfassenden Folgeabschätzung unter Beteiligung der Zivilgesellschaften zu berücksichtigen.

3. Das Freihandelsabkommen darf Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährden. Einen Dumping-Wettbewerb, bei dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutzdumping verschaffen, lehnen wir ab. Deshalb muss im Rahmen des Handelsabkommens darauf hingewirkt werden, Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu verbessern.

4. Die Beseitigung der verbliebenen tarifären Hindernisse (Zölle) fördert den Handel, auch wenn die Zölle nicht hoch sind – sie bewegen sich für Industriegüter im Durchschnitt bei etwa 4 %. Aber das Handelsvolumen ist groß. Täglich gehen Waren im Wert von ca. 2 Mrd. Euro über den Atlantik. Wegen des großen Handelsvolumens können Zölle im großen Umfang eingespart werden. Wenn die Zölle aber beseitigt werden, so soll der Einnahmenverlust der EU ausgeglichen werden.

5. Der Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse kann grundsätzlich im gegenseitigen Interesse sein, muss sich aber auf unterschiedliche technische Standards und Vorschriften sowie gegebenenfalls auf die Abschaffung doppelter Zulassungsverfahren, die tatsächlich vergleichbar sind, beschränken. Das gilt z.B. für die Größe von Rückspiegeln, für die Festigkeit von Blechen, die Größe und Tragfähigkeit der Felgen, der Verfahren zur Messung von Emissionen oder der Vergabe von bestimmten Genehmigungen. Das Abkommen kann dazu beitragen, dass im Bereich der Zukunftstechnologien durch die Entwicklung gemeinsamer Standards optimale Rahmenbedingungen für Innovationen geschaffen werden. Eine gegenseitige Anerkennung von Standards und Zulassungsverfahren darf es nur geben, wenn damit keine Absenkung des Schutzniveaus verbunden ist. Die parlamentarische Hoheit über die Definition von Standards und Zulassungsverfahren muss sichergestellt bleiben.

6. Ein hohes Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveau soll nicht nur im Einklang mit dem Besitzstand der EU und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gewahrt, sondern muss auch weiter verbessert werden können. Beide Vertragspartner sollten sich verpflichten, internationale Übereinkünfte und Normen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz zu beachten und umzusetzen, insbesondere die ILO Kernarbeitsnormen und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Dazu sollten beide Vertragspartner ein Zeitfenster vereinbaren, innerhalb dessen die
Ratifizierung, Umsetzung und Überwachung dieser internationalen Übereinkünfte geregelt wird. Die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards muss in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein, wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens.

7. In keinem Fall dürfen das Recht der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung und der Tarifautonomie oder andere Schutzrechte für Arbeitnehmer, die Umwelt und Verbraucher als „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ interpretiert werden.

Entsprechende nationale Gesetze oder Vorschriften eines EU-Mitgliedsstaates – insbesondere hinsichtlich der Regulierung des Arbeitsmarktes oder sozialer Sicherungssysteme, der Tarifautonomie, des Streikrechts, Mindestlöhnen und Tarifverträgen – müssen in diesem Sinne von einem Abkommen unberührt bleiben.

Das gilt nicht nur für das gegenwärtige, sondern auch für künftige Erweiterungen dieser Schutzrechte. Derartige Möglichkeiten dürfen durch ein Abkommen nicht eingeschränkt oder behindert werden.

8. Prinzipiell ist auszuschließen, dass das demokratische Recht, Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaffen, gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder dass ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, einklagbar wird. Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Regeln zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf auch nicht durch die Schaffung eines „Regulierungsrates“ im Kontext regulatorischer Kooperation oder durch weitgehende Investitionsschutzvorschriften erschwert werden.

Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbergriffen, wie „Faire und Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen.

Die Europäische Kommission hat ein Verhandlungsmoratorium zum Investitionsschutz beschlossen und eine dreimonatige Öffentliche Konsultation zu dieser Frage ab März 2014 eingeleitet. Das Verhandlungsmoratorium ist zu begrüßen, zumal es eine grundsätzliche öffentliche Debatte über Investitionsschutz erlaubt. Probleme – wie die Einschränkung staatlicher Regulierungsfähigkeit und die Gefahr hoher Entschädigungs und Prozesskosten für Staaten, wegen privater Klagen gegen legitime Gesetze – existieren schließlich auch schon aufgrund existierender Investitionsschutzabkommen.

9. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Für den Bereich der Daseinsvorsorge sollen keine Verpflichtungen in Deutschland übernommen werden. Bisherige EU-Vereinbarungen zum Schutz öffentlicher Dienstleistungen dürfen nicht durch das Abkommen beeinträchtigt werden. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften wird für die Ausgestaltung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ein umfassender
Gestaltungsraum garantiert. Audiovisuelle Dienstleistungen sind dauerhaft vom Anwendungsbereich des Abkommens auszunehmen. Die Mitgliedstaaten der EU müssen darüber hinaus das Recht haben, die öffentliche Kultur- und Medienförderung vollständig zu erhalten. Auch die Daseinsvorsorge durch die Freie Wohlfahrtspflege muss erhalten bleiben. Die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die Organisation der Daseinsvorsorge muss unberührt bleiben. Es darf keinen direkten oder
indirekten Zwang zu weiterer Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen oder gar eine Priorisierung „privat vor öffentlich“ durch das Abkommen geben. Der Gestaltungsspielraum ist für die Zukunft zu gewährleisten. Wir sind der Auffassung, dass ein Positivkatalog besser ist und mehr Vertrauen schafft als der bisherige Ansatz der Negativlisten. Dieser Positivlistenansatz würde ausschließen, dass alle Bereiche liberalisiert werden können, die nicht explizit aufgelistet sind. Die zu erstellende Verpflichtungsliste im Dienstleistungsbereich muss zusammen mit den betroffenen Kreisen, einschließlich der Gewerkschaften diskutiert und erstellt werden.

Bei der Erbringung von Dienstleistungen durch in die EU entsandte Beschäftigte ist zu gewährleisten, dass das nationale Arbeitsrecht und nationale Tarifstandards nicht eingeschränkt werden. In jedem Fall muss hinsichtlich der Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen und tarifvertraglichen Regelungen in der EU das Ziellandprinzip festgeschrieben und von Anfang an bei allen entsandten Beschäftigten
angewandt werden, sofern es für sie günstiger ist.

10. Die Erfahrungen mit der jüngsten Weltwirtschaftskrise zeigen, dass statt einer völligen Freigabe des Kapitalverkehrs und einer weiteren Liberalisierung von Finanzdienstleistungen eine strikte Regulierung der Finanzmärkte notwendig ist. Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern und die Stabilität der Weltwirtschaft würden wachsen, wenn es gelänge, die transatlantischen Verhandlungen auch für eine stärkere Regulierung bislang nicht ausreichend regulierter Bereiche der globalisierten Finanzmärkte zu nutzen.

11. Im Bereich der öffentlichen Vergabe und Beschaffung dürfen Soziale und ökologische Vergabekriterien und ihre mögliche Erweiterung nicht in Frage gestellt werden. Unternehmen, die öffentliche Aufträge bekommen wollen, müssen auf Einhaltung der jeweiligen Vergabekriterien, wie etwa die Tariftreue, verpflichtet werden können.

12. Ein Abkommen soll eine Klausel enthalten, die eine Korrektur von unerwünschten Fehlentwicklungen und ggf. Kündigung ermöglicht.

13. Für den weiteren Verlauf der Verhandlungen ist jeder Zeitdruck abzulehnen. Europa und die USA stehen jetzt am Beginn der eigentlichen Verhandlungen. Die Verhandlungen müssen transparent, unter der demokratischen Beteiligung der Parlamente und unter Einbeziehung der Sozialpartner und der Vertreter der Zivilgesellschaft geführt werden, um diesem Abkommen eine breite gesellschaftliche
Legitimation zu verleihen. Es ist ein Höchstmaß an Transparenz herzustellen. Wir sind der Auffassung, dass alle Verhandlungsdokumente offen zu legen sind, und werden uns energisch dafür einsetzen. Ein transatlantisches Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern nutzen soll, darf nicht verhandelt werden, als müssten die Ergebnisse vor der Öffentlichkeit verborgen werden.

14. Die EU-Kommission ist aufgefordert, auf dieser Grundlage und im Bewusstsein um die Sensibilität des Abkommens zu verhandeln. Das Abkommen steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Europäischen Parlaments, des Rates und auch unter dem Zustimmungsvorbehalt der 28 nationalen Ratifizierungsprozesse. Dies zeigt: Ein TTIP, das die Interessen der europäischen Bürgerinnen und Bürger nicht berücksichtigt, darf und wird es nicht geben.

Für einen breiten Diskussionsprozess

Eine intensive Diskussion über die TTIP-Verhandlungen sowie auch das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA), für das die oben genannten Maßgaben zu TTIP gleichermaßen gelten, ist in der Öffentlichkeit genauso wie selbstverständlich auch innerhalb der SPD von zentraler Bedeutung. Zur Vorbereitung politischer Entscheidungen muss die Möglichkeit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache bestehen.

Um den weiteren TTIP-Verhandlungsprozess intensiv zu begleiten und die Meinungsbildung innerhalb der SPD weiter voranzubringen wird der SPD-Parteivorstand einen umfassenden Informations- und Diskussionsprozess initiieren - mit fortlaufenden Berichten über den Stand der Verhandlungen sowie geeigneten Formaten für eine innerparteiliche, sachorientierte, politische Debatte.

In dem Diskussionsprozess muss es Raum dafür geben, die Chancen von TTIP genauso zu
thematisieren wie kritische Aspekte und Befürchtungen, die sich mit TTIP verbinden. Insgesamt
betrifft dies insbesondere Fragen zu:
• den wirtschaftlichen Chancen und Risiken, die sich mit dem Abbau tarifärer und nichttarifärer
Handelshemmnisse verbinden;
• möglichen regulatorischen Fortschritten durch TTIP, die eine global normsetzende Wirkung entfalten können;
• der Entwicklung gemeinsamer Standards für Innovationen bei Zukunftstechnologien und Leitmärkten;
• dem Schutz von Arbeitnehmerrechten, dem Erhalt von Mitbestimmung und Tarifautonomie sowie den ILO-Kernarbeitsnormen;
• dem Erhalt eines hohen Niveaus beim Verbraucher-, Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutz sowie bei Lebensmitteln;
• dem Erhalt kultureller Vielfalt, der öffentlichen Kultur- und Medienförderung sowie Fragen zum Datenschutz und zu den Aktivitäten ausländischer Geheimdienste;
• der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Gewährleistung ihrer Qualität und eines freien Zugangs zu entsprechenden Dienstleistungen;
• speziellen Investitionsschutzvorschriften und ihren möglichen problematischen Folgen;
• der Transparenz und Einbeziehung von Bürgern und Zivilgesellschaft und des Zugangs zu den Verhandlungsdokumenten;
• einer Einstufung des Abkommens als „gemischtes Abkommen“ und daran anknüpfend der demokratischen Legitimierung über eine Ratifizierung durch das Europäische Parlament ebenso wie durch die nationalen Parlamente;
• sowie schließlich Fragen nach den Möglichkeiten einer späteren Überprüfung und ggf. Rückholbarkeit von Inhalten der Handelsabkommen.
Wirtschaft und Handel müssen sich demokratischen Spielregeln unterwerfen. Wenn es mit einem transatlantischen Freihandelsabkommen gelingt, bessere Regeln für den transatlantischen Handel und die globale Wirtschaft zu entwickeln, wäre dies ein enormer Fortschritt in der politischen und demokratischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung. Fest steht allerdings auch: Ein Freihandelsabkommen darf nicht dazu führen, dass europäische Standards etwa im Arbeits- und Umweltrecht, beim Daten- oder Verbraucherschutz in Frage gestellt oder Investoren vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Standards und demokratische politische Regelungen zum Schutz von
Gemeinwohlzielen aushebeln können. Unser Ziel ist es, möglichst fortschrittliche arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards in den bilateralen und internationalen Handelsbeziehungen zu verankern.