Die Entscheidung der britischen Bevölkerung bedauere ich sehr. Großbritannien war nach dem Zweiten Weltkrieg fundamentaler Teil der europäischen Einigungsbewegung. Großbritannien gehört zum europäischen Projekt. Allerdings gilt es nun den Ausgang des Referendums zu respektieren und die Schritte zu einem Austrittsvertrag konstruktiv und nicht zum Nachteil der Menschen anzugehen.

Allerdings sollte man die Gründe für das Abstimmungsergebnis nicht unter den Teppich kehren. Es ist kein Wunder, wenn die britische Regierung zehn Jahre lang die Europäische Union, ihre Institutionen und Gesetzgebungen verunglimpft und beschimpft, so dass damit ein Nährboden für die Entscheidung am 23.6.2016 gelegt wurde. Dieses Phänomen ist aber leider auch bei anderen Regierungen und politischen Eliten in vielen Mitgliedstaaten festzustellen. Das bekannte Muster dafür sieht so aus, dass alles Schlechte aus Brüssel kommt und alles Gute von den Regierungen durchgesetzt wird. Und auch der häufig geäußerte Vorwurf, es gehe undemokratisch in Brüssel zu, schafft weitere Skepsis - auch wenn seit dem Lissabonvertrag von 2009 mit einem starken Europäischen Parlament dies absolut nicht mehr stimmt und alle Regierungen der Mitgliedstaaten immer an allen Entscheidungen beteiligt sind. Mit diesen Mechanismen wird die Europäische Union geschwächt und der Raum für Populisten und Nationalisten bereitet. Wenn Europa heute sturmreif erscheint, liegt es zum einen an dem immer stärker sich zeigenden Nationalismus in den Mitgliedsstaaten und dem Verhalten der politischen Eliten.

Zum anderen ist aber die aktuelle europäische Politik auch nicht überzeugend. Arbeitslosigkeit, soziale Spaltung, Dominanz einzelner Staaten, unregulierte Globalisierung fordern Antworten und Lösungen aus Europa. Wir müssen Europa gemeinsam weiterentwickeln und besser machen. Dazu gehört eine Politik, die nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung fördert. Das Dogma der Austeritätspolitik hat zu sozialen Verwerfungen geführt und muss überwunden werden. Dazu gehört eine neue Vision von Europa, die den sozialen Zusammenhalt stärkt und Entwicklungen der Globalisierung gestaltet. Insofern müssen auch weitere Integrationsschritte bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik angepackt werden. Jetzt gilt es, Verantwortung wahrzunehmen und Europa besser zu machen!

Dies kann nur gemeinsam erreicht werden und gelingt nur im Diskurs mit den Menschen. Deswegen brauchen wir alle für einen offenen und transparenten Diskus für ein gutes Europa. Dies ist in unserem langfristigen Interesse, in Deutschland, zwischen den Europäischen Staaten und im globalen Umfeld. Wir sind verpflichtet, die geschwächte Europäische Union verantwortungsvoll weiter zu gestalten.

Es lohnt sich, die Rede von Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag 2011 mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für ein einiges und starkes Europa wieder zu lesen: