Viele kluge Köpfe haben sich Gedanken gemacht, wie es der Ministerpräsident Wulff in Niedersachsen anstellen wird, sein Wahlversprechen, die Gründung neuer Gesamtschulen zu ermöglichen, nicht einlösen zu müssen. Und damit dem massiven Elternwillen und dem Wunsch vieler lokaler CDU-Politiker nicht nachgehen zu müssen, wohnortnah für alle Kinder und Jugendliche ein qualifiziertes Schulangebot zu machen. Auf den einfachen Gedanken, die Novellierung des Schulgesetzes auf die lange Bank zu schieben, so das in diesem Schuljahr keine Gesamtschule mehr gegründet werden kann, sind sie nicht gekommen. Und sie haben sich auch die Böswilligkeit nicht vorstellen können, mit der der Gründung neuer Gesamtschule massive Stolperschwellen in den Weg und gleichzeitig den bestehenden Gesamtschulen das Leben, Lehren und Lernen noch schwieriger gemacht wird.

„Dieser Gesetzentwurf ist nicht akzeptabel, die Verhinderungsklauseln müssen weg!“ so fasste der GEW-Landesvorsitzende Eberhard Brandt die Kritik am Gesetzentwurf von CDU- und FDP-Fraktion zusammen, den Kultusministerin Heister-Neumann am 28. April bei einer Pressekonferenz im Landtag vorstellte. Das Gesamtschulgründungsverbot solle lediglich „gelockert“, aber nicht aufgehoben werden, formulierte die Kultusministerin. Der Vorrang des gegliederten Schulsystems dürfe nicht in Frage gestellt werden. Im Jahre 2008 soll es entgegen den Wahlkampfverlautbarungen von Ministerpräsident Wulff keine einzige neue Gesamtschule geben. Der Gesetzentwurf enthält außerdem Bestimmungen, die die Arbeit der neuen und der bestehenden Gesamtschulen nachhaltig schädigen sollen: Die Erhöhung der Zügigkeit und der Zwang, alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Alle Gesamtschulanhänger müssen sich jetzt wehren, damit das nicht durchkommt, rät Eberhard Brandt. 35 Gesamtschulinitiativen, Elterninitiativen und interessierte Schulträger, die sich zur Zeit im Mailverteiler der Initiativ-Koordination angeschlossen haben, würden ungeachtet aller Schwierigkeiten daran gehen, nun die Planung neuer Gesamtschulen einzuleiten. „Eine neue Gründungswelle kommt und bringt weiteren Schwung in die Auseinandersetzung. Das ist sicher!“, so der GEW-Chef. „Entweder gelingt es, den Gesetzestext und die Verordnungen deutlich zu verändern oder wir werden die Regierung in den nächsten Jahren weiter vor uns her treiben“, kündigte Brandt an. Herr Wulff und Frau Heister-Neumann werden Schwierigkeiten haben, diesen Gesetzentwurf den an vielen Orten aktiven Eltern und den pragmatisch denkenden und handelnden Kommunalpolitikern erklären zu können, auch denen der Regierungsparteien. Länger als ein Jahr würden so ein Gesetz und die entsprechenden Verordnungen keinen Bestand haben. Kinder bekommen nach dem Regierungsentwurf keinen Rechtsanspruch auf Besuch einer wohnortnahen Gesamtschule, da der Schulträger selbst dann die Beantragung einer Gesamtschule verweigern kann, wenn das Bedürfnis der Eltern eindeutig gegeben ist. Gesamtschulen werden lediglich als „ergänzende“ Schulen zugelassen. Verhindern restriktive Bedingungen Gesamtschulgenehmigungen? Schulträger, die darauf warten, eine neue Gesamtschule zu beantragen, müssen bei der Errichtung neuer Gesamtschulen sehr restriktiv formulierte Bedingungen erfüllen, um die Genehmigung von der Landesschulbehörde zu bekommen. „Die Schulen des gegliederten Schulsystems dürfen durch die Errichtung einer ergänzenden Gesamtschule nicht nachhaltig beeinträchtigt werden“, heißt es in der Begründung des Gesetzes durch die Regierungsfraktionen. Dabei müsste auch die demografische Entwicklung beachtet werden, da diese Bedingung langfristig gegeben sein müsse. Diese Bestimmung gelte für Integrierte Gesamtschulen wie Kooperative Gesamtschulen. Letztere sind von Schulträgern bislang in der Regel als ersetzende Schulen eingeführt worden. Ministerin Heister-Neumann, der CDU-Fraktionssprecher Klare und FDP-Sprecher Försterling kamen mächtig ins Schleudern, als die Journalisten in der Pressekonferenz nachfragten, was denn geschehe, wenn die Hauptschulen einfach nicht mehr angewählt würden oder wenn eine überwiegende Mehrheit der Eltern eine Gesamtschule wolle, berichtet GEW-Pressesprecher Richard Lauenstein. Frau Heister-Neumann antwortete griffig: „In diesen Fällen dürfen keine Gesamtschulen genehmigt werden.“ Es wurde deutlich: Die Nebenbedingungen für die Genehmigung können vor allem im ländlichen Raum dazu benutzt werden, das Gesamtschulgründungsverbot aufrecht zu erhalten. SPD, Grüne und Linke sprächen daher zu Recht von einem Gesamtschulverhinderungsgesetz, merkt Lauenstein an. Stets müsse bei der Gründung einer Gesamtschule gesichert sein, dass im Gebiet des Schulträgers eine Schule des gegliederten Schulsystems zu „zumutbaren Bedingungen“ erreicht werden könne, betonte Heister-Neumann. Was unter diesem unbestimmten Rechtbegriff zu verstehen ist, ließ die Ministerin offen. „Ungeachtet dieser Behinderungen und Stolpersteine werden die Gesamtschulinitiativen und viele Schulträger die Errichtung neuer Gesamtschulen vorbereiten. Die ersten Gründungen können nach Ansicht der GEW auch durch das schlechte Gesetz nicht verhindert werden. Eine deutliche Erhöhung der Anzahl der IGSen ist für die nächsten Jahre zu erwarten“, so der GEW-Schulexperte Henner Sauerland Regierung will Gesamtschulen weiter schädigen Integrierte Gesamtschulen sollen künftig mindestens 5-zügig und nicht mehr 4-zügig sein. Auch die Vorschrift, dass neu gebildete und bestehende Gesamtschulen gezwungen werden sollen, alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, soll der von CDU und FDP ungeliebten Schulform schaden. Der Aufnahmezwang soll Gesamtschulen zu „Mammut-Schulen“ machen, die CDU und FDP früher entschieden bekämpft haben. Aufnahmezwang und Erhöhung der Zügigkeit sind massive Eingriffe in die Gestaltungsfreiheit der Schulträger. Schulen gehören verfassungsrechtlich zum eigenständigen Wirkungskreis der kommunalen Gebietskörperschaften. Brandt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schulträger diese Regelung akzeptieren.“