Sigrid Leuschner sprach in der Plenarsitzung am 29. April 2010 für die SPD-Landtagsfraktion bei der Besprechung der Antwort der Landesregierung zur Großen Anfrage der Fraktionen der CDU und der FDP zum Thema „Extremismus in Niedersachsen“.

achstehend können Sie das Redemanuskript von Frau Leuschner lesen:

Rede der Landtagsabgeordneten Sigrid Leuschner

70. Plenarsitzung am 29. April 2010 zu TOP 22: Besprechung der großen Anfrage der Fraktionen von CDU und FDP, Drs. 16/1642
Antwort der Landesregierung, Drs. 16/2395
„Extremismus in Niedersachsen“

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

mit der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/FDP-Fraktionen verfügen wir jetzt über viele Aussagen und Aufzählungen darüber wie die Landesregierung die Aktivitäten und die Bedrohungslage in den Bereichen des Rechtsextremismus, des Linksextremismus und des Ausländerextremismus einschätzt und welche Strategien sie zur Bekämpfung vorschlägt.

Anrede, die SPD-Landtagsfraktion schätzt einzelne Aussagen anders ein. Ich werde im Laufe meiner Rede darauf eingehen. Zunächst gilt aber mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die umfassende Beantwortung.
Als erstes ist es für uns nach den Debatten die wir geführt haben, unverständlich, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, dass sie in ihrer Anfrage wieder alle Extremismusbereiche zusammen behandeln.

Anrede, die Ursachen der Extremismusbereiche sind unterschiedlich, sie haben andere ideengeschichtliche Hintergründe, die Ausprägen sind andere und logischerweise auch die Notwendigkeiten der Bekämpfung.

Dieses habe ich ihnen schon wiederholt gesagt.

Anrede, einig sind wir uns in der Aussage, dass wir alle extremistischen Bestrebungen abwehren müssen, die auf die Abschaffung oder die Einschränkung der demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft und unseres Staates zielen.

Und natürlich lehnen wir jegliche Gewalt gegen Sachen und Menschen ab.

Politisch motivierte Gewaltkriminalität darf in unserer Gesellschaft keine Akzeptanz finden und muss energisch bekämpft werden.

Aber, Anrede, dazu gehört nicht nur die Strafverfolgung sondern auch die Prävention. Und in diesem Punkt lassen die Antworten der Landesregierung noch erhebliche Defizite erkennen.

Lassen Sie mich nun auf den Bereich des Rechtsextremismus eingehen.

Sie beschreiben in ihren Antworten sehr konkret die Aktivitäten und die Zusammenschlüsse von Rechtsextremisten. Diese Gefahr, meine Damen und Herren, sollten wir nicht unterschätzen.

Die Rechtsextremisten verfügen inzwischen über sehr gute Vernetzungen, die länderübergreifend agieren. Und die Vernetzungen zwischen NPD und Kameradschaften sind mittlerweile offensichtlich.

Zu ihren Ausführungen über die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund ist die SPD-Fraktion anderer Meinung. Wir meinen, dass die Dunkelziffer erheblich höher ist, weil teilweise schwer nachzuweisen ist, dass Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus und Nationalsozialismus ganz oder teilweise Motiv für die Straftatbegehung waren.

Anrede, ich finde es genauso erstaunlich, dass die Koalitionsfraktionen nur nach präventiven Maßnahmen der Landesregierung zur Bekämpfung des Links- und Ausländerextremismus gefragt haben, nicht aber zum Bereich des Rechtsextremismus. Halten Sie das etwa nicht für notwendig?

Wir haben mit unserem Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus interdisziplinäre, auf Stetigkeit ausgerichtete Handlungsansätze gefordert. Sie haben sie abgelehnt.

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Rechtsextremismus haben gezeigt, dass teilweise über 40% der Befragten ausländerfeindlichen und teilweise antisemitischen Aussagen zustimmen. Rechtsextremismus ist also leider alles andere als eine Randerscheinung, vielmehr sind manche Einstellungsmuster bis tief in die Mitte der Gesellschaft vorhanden. Das ist alarmierend. Wenn Sie Prävention für nicht so nötig halten, dann ist das verantwortungslos!

Wir als SPD sehen das anders. Für uns ist nach wie vor die Notwendigkeit der politischen Bildungsarbeit – und nicht nur bei Jugendlichen - von erheblicher Bedeutung!
Aus unserer Bewertung sind Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Chauvinismus und Rassismus die größte Gefahr für die Demokratie und die politische Kultur in Deutschland.

Anrede, nach wie vor sind rechtsextremistische Gruppierungen in Niedersachsen sehr aktiv.

Sie treten mit Kundgebungen und Demonstrationen öffentlich auf. Sie besetzen historische Orte und Daten und verbreiten ihre Geschichtsmythen und werden auch in diesem Sommer zu Demonstrationen in Hildesheim und Bad Nenndorf aufrufen.
Erschreckend ist die hohe Internetpräsenz von Rechtsextremisten. Im Jahr 2009 wurden über 1.000 Homepages von deutschen Rechtsextremisten betrieben und die NPD und ihre Jugendorganisation JN verfügen bis in die untersten Strukturen über eine eigene Internetpräsenz.

Vor allem die Aktionen von Rechtsextremisten an Schulen mit der Verteilung von Comics und Schulhof-CDs und der Zeitschrift „Der Bock“ an Schülerinnen und Schüler macht es noch zwingender notwendig, hier aufzuklären und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Dem müssen wir entschieden entgegentreten!

Anrede, ich habe nicht behauptet, dass die Landesregierung nichts gegen Rechtsextremismus unternimmt.
Sie, Anrede, reagieren auf Einzelerscheinungen und ergreifen Einzelmaßnahmen – wir hingegen verfolgen ein integratives Konzept, das neben repressiven sowohl sozial- als auch bildungs- und integrationspolitische Maßnahmen einschließt und das darüber hinaus zivilgesellschaftliche Aktivitäten ermuntert und unterstützt. Das ist der Unterschied!

Der Grund hierfür ist aus den Erfahrungen der letzten Jahre, dass politische und gesellschaftliche Bekämpfungsansätze gegen den Rechtsextremismus auf Stetigkeit ausgerichtet sein müssen.

Appelle und Aufklärungsmaßnahmen sind zwar schnell konsensfähig, sie reichen aber ohne eine sozialpolitische Flankierung nicht aus.

Der Politikwissenschaftler Richard Stöss führt in diesem Zusammenhang aus: „Rechtsextremismus wird durch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse erzeugt und nicht umgekehrt.“

So sinnvoll Aufklärungsmaßnahmen an Schulen sind, so richtig ist es, rechtsextremistischen Äußerungen und Handlungen mit Zivilcourage entgegenzutreten.

So hilfreich Aussteigerprogramme in Einzelfällen sind – als isolierte Maßnahmen ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept verlieren diese Handlungsansätze ihre Wirkung.

Anrede, wir müssen auch bei rechtsextremistischen Gewalttaten eine mögliche Verbindung zwischen Rockergruppen und Rechtsextremisten genauer untersuchen und gemeinsam dagegen vorgehen.

Herr Innenminister Schünemann, wir haben bereits einem Jahr darauf hingewiesen, dass es Verbindungen zwischen bestimmten Rockergruppierungen und der rechten Szene gibt. Jetzt erst auch haben Sie das erkannt.

Als nächstes gehe ich auf ihre Antworten zum Bereich des Linksextremismus ein.

Anrede, bei der Betrachtung linksextremer Gewalttaten ist es durchaus nicht schlüssig, dass z. B. militante Tierschützer, die gegen eine Tierversuchseinrichtung des Pharmakonzerns Boehringer in Hannover gewaltsam vorgegangen waren, automatisch dem linken Spektrum zugeordnet wurden.

Wir halten es auch nicht für gerechtfertigt, Castor-Gegner, Menschen die sich für Klimaschutz, für Entwicklungszusammenarbeit und für eine gerechtere Wirtschafts- und Sozialordnung einsetzen und dafür auf die Straße gehen, automatisch dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen.

Ist es nicht vielmehr ein Bürgerrecht, wenn bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen in der Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- oder Bildungspolitik, als ungerecht empfunden werden, sie zu kritisieren, sich für eine politische Veränderung einzusetzen und friedlich für Veränderungen zu demonstrieren?

Anrede, wir sprechen uns nach wie vor dagegen aus, dass die Landesregierung die Themen Rechts- und Linksextremismus gemeinsam behandelt und auf eine Differenzierung nach ideengeschichtlichem Hintergrund und politischer Zielsetzung bewusst verzichtet.

Wir kritisieren, dass die Wanderausstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zum Thema „Unsere Demokratie schützen – Verfassungsschutz gegen Extremismus“, die vorher allein über die Ursachen von Rechtsextremismus aufklären sollte, jetzt um sechs Tafeln zum Thema Linksextremismus ergänzt worden ist.

Und wir halten die Sichtweise von Innenminister Schünemann im Vorwort zur Ausstellung für falsch.
Der Innenminister vertritt die These, dass Extremisten ein Freund-Feind-Bild entwickeln und die Welt in Gut und Böse einteilen und keine Differenzierungen zulassen.

Dies, Anrede, ist zu pauschal. Die Welt in Gut und Böse einzuteilen, dazu neigen leider nicht nur Extremisten. Ich könnte hier viele Beispiele aufführen.

Herr Minister Schünemann, sie vertreten die These, dass bei Rechtsextremisten die "Rasse", während bei Linksextremisten die Klasse" im Mittelpunkt stehen würde.

Der Politikwissenschaftler Prof. Butterwegge aus Köln, schreibt in einem Aufsatz; ich zitiere:

„Die wiederbelebte Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus ist noch aus einem anderen Grund absurd: Denn während Personen aus freiem Willen aufhören können, Mitglieder der „herrschenden Klasse“ zu sein, muss jemand, der aus Sicht der Rechtsextremen einer „falschen Rasse“ angehört, tagtäglich befürchten muss, tätlich angegriffen oder gar getötet zu werden.“

Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer erklärt dazu, dass man die Themen Rechtsextremismus und Linksextremismus nicht einfach nahtlos zusammenfassen kann und eine differenzierte Betrachtung notwenig ist. Deshalb wird die Extremismusausstellung in Bremen ohne die Tafeln zum Linksextremismus gezeigt. Und das sollte Ihnen, Herr Minister Schünemann, zu denken geben!

Anrede, es wundert es mich auch sehr, dass in der Antwort der Landesregierung auf die Frage 45 zum Linksextremismus aktuell auf die Durchführung von Jungendkongressen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in Kooperation mit der Integrationsabteilung des Innenministeriums verwiesen wird.

Wir begrüßen, dass Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrerinnen und Lehrer zu Kongressen unter dem Motto „Gegen Extremismus – Für Toleranz und Vielfalt“ zusammen kommen.

Ich wundere mich, dass im Rahmen dieser Kongresse ein Workshop mit dem Titel „Zecken gegen Glatzen – Warum man sich nicht mit Linksextremisten im Kampf gegen Rechtsextremismus verbrüdern soll“ angeboten wird.

Ich vermute, dass allein durch den Arbeitstitel dieses Workshops wieder eine Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus stattfindet – und das lehnen wir ab!

Deshalb muss die Ausstellung wissenschaftlich überarbeitet und in Teilen zurückgenommen werden.

Anrede, die SPD-Landtagsfraktion nimmt die Bedrohung durch islamistisch-extremistische und linksextremistische Ausländerorganisationen ernst.

Diese müssen wir gemeinsam bekämpfen und deswegen ist es z. B. richtig, dass der Niedersächsische Verfassungsschutz gegen Vertreter des radikalen Salafismus vorgeht.

Sie sind in ihren Aussagen gegen die Gleichberechtigung von Frauen und benutzen ihre Interpretation des Korans gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Aber genau so wenig dürfen außer Acht lassen, dass Einzelbeispiele misslungener Integration zu muslimfeindlichen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung führen können, die von Rechten aufgegriffen und verstärkt werden können.

Ich will ihnen nur ein Beispiel dafür nennen: Die NPD plakatiert in Nordrhein-Westfalen u. a, mit dem Slogan „Bildung statt Moscheen“.

Die SPD-Landtagsfraktion hält es für notwendig, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam ausgesprochen differenziert erfolgen muss.

Aus unserer Sicht reicht ein Dialog mit dem Islam allein nicht aus. Es ist notwendig, dass neben den religiösen vor allem auch soziale und gesellschaftspolitische Aspekte von Migrationserfahrungen in den Vordergrund gestellt werden.

Anrede, der Islam ist, ebenso wie andere Religionen, eine facetten- und auslegungsreiche Glaubensrichtung. Die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes.

Wir setzen uns dafür ein, dass Vorurteile und Feindschaft gegen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit erst gar nicht entstehen.

Anrede, deshalb ist es unsere Aufgabe, die gesellschaftliche Debatte um den Islam zu versachlichen.
Wir müssen Vorurteile abbauen, vor Diskriminierung schützen und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Glaubens- und weltanschaulicher Gemeinschaften in Niedersachsen weiterhin konstruktiv und friedlich zu gestalten.

Und hier, meine Damen und Herren von der CDU-Landtagsfraktion, haben die letzten Tage ja gezeigt, dass sie da noch Nachholbedarf haben.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

2010-04-29_sigrid-leuschner_1
2010-04-29_sigrid-leuschner_2