In der Plenarsitzung am Donnerstag, 17.02.2011, hat die SPD-Landtagsfraktion die Landesregierung erneut aufgefordert, ein umfassendes Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie vorzulegen und den Stellenwert der politischen Bildung zu erhöhen.

Sigrid Leuschner, stellvertretende innenpolitische Sprecherin, erklärte: „Es ist dringend notwendig, endlich mit einer Gesamtstrategie, mit einem aufeinander abgestimmten Maßnahmenpaket, gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Islamophobie vorzugehen.“ Die Politik der CDU/FDP-Koalition setze hingen auf Einzelmaßnahmen, die wenig Wirkung zeigten.

„So hilfreich Aussteigerprogramme in Einzelfällen sind - als isolierte Maßnahmen ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept, das den gesellschaftlichen und sozialen Entstehungsbedingungen Rechnung trägt, verlieren sie an Wirkung“, sagte Leuschner.

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Ein integriertes Aktionsprogramm müsse nach Ansicht der SPD-Fraktion u.a. folgende Punkte zum Inhalt haben:

* eine Bildungsoffensive gegen rechtsextremes Gedankengut; die Wiedererrichtung der Landeszentrale für Politische Bildung; die Förderung von Politikunterricht an Schulen, mit dem Ziel, über die Ursachen von Rechtsextremismus aufzuklären.
* Menschenrechtsbildung und Förderung von Demokratieerfahrung an Schulen (Lernziel Demokratie),
* Ausbau und Förderung von Beteiligungsrechten der Mitarbeiter/innen in Betrieben und Verwaltungen, Humanisierung der Arbeitswelt, Weiterbildung der Mitarbeiter/innen in interkultureller Kompetenz,
* Erweiterung der Erzieher- und Lehrerausbildung in Studium und Weiterbildung in Menschenrechtsbildung, interkultureller Kompetenz und Demokratievermittlung.
* Förderung von Medienkompetenz an Schulen und in der Jugendarbeit,
* niedrigschwelliger Zugang zu Kulturangeboten, insbesondere Angebote im Bereich Sport, Musik und Theater,
* weitere Angebote und Ausbau von Familienzentren, weiterer Ausbau von Gesamtschulen, Förderung von Ganztagsangeboten.

Den Wortlaut des Entschließungsantrages finden Sie hier (.pdf-Dokument, 41kb).

Das Redemanuskript von Sigrid Leuschner können Sie nachstehend lesen:

Rede der Landtagsabgeordneten Sigrid Leuschner (SPD):
98. Plenarsitzung am 17. Februar 2011 zu TOP 22:
Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie – Stellenwert der politischen Bildung wieder erhöhen!
Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 16/3289
- Erste Beratung -
und zu TOP 23:


Gemeinsam gegen Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit – Ein Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 16/3313
- Erste Beratung -

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Menschenfeindlichkeit, Chauvinismus, Antisemitismus, Islamophobie und Rassismus stellen nach wie vor erhebliche Gefahren für die Demokratie und die politische Kultur in Deutschland dar.
Die Ergebnisse der jüngsten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Mitte in der Krise“ vom Oktober 2010 haben gezeigt, dass die Zustimmung zu Aussagen mit chauvinistischen, ausländerfeindlichen und sozialdarwinistischen Inhalten gestiegen ist.
Diese Zustimmung reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Bevölkerungsgruppen vorhanden. Die wirtschaftliche Krise fördert eine Zunahme rechtsextremer Einstellungen.
Die Studie macht zudem deutlich, dass in der Gesellschaft der Wunsch nach einer Diktatur zugenommen hat.

Auch die Ergebnisse der im November vergangenen Jahres veröffentlichten Heitmeyer-Studie bestätigen diese Tendenz.

Anrede, die stärker gewordene Akzeptanz dieser Aussagen gefährdet unsere Demokratie.

Anrede, die Akzeptanz zu Menschenfeindlichen und antidemokratischen Aussagen ist ein Einstiegsmuster für ein rechtsextremes Weltbild.

Ein neuer Aspekt in der aktuellen Studie der FES ist, dass Ressentiments gegenüber Muslimen in unserer Gesellschaft zugenommen haben.

Besonders erschreckend ist, dass 58,4 % der Befragten der Aussage „Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden“, zustimmen.

Diese Position, Anrede, verstößt gegen eine zentrale Aussage der Menschenrechte und gegen unser Grundgesetz.

Deshalb ist es notwendig, dass wir uns entschieden dagegen wenden.

Die SPD-Landtagsfraktion hat sich unmittelbar nach den Veröffentlichungen der aktuellen Studien intensiv mit deren Ergebnissen auseinandergesetzt und den Ihnen heute vorliegenden Entschließungsantrag erarbeitet.

Wir fordern die Landesregierung erneut auf, endlich ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie vorzulegen.

Es ist dringend notwendig, endlich mit einer Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus und mit einem aufeinander abgestimmten Maßnahmenpaket vorzugehen anstatt sich wie bisher in Einzelmaßnahmen zu verlieren, die wenig Wirkung zeigen.
Die Aktualität unseres Antrags wird auch durch die Aussagen des Präsidenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes deutlich, die er in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeiner Zeitung vom 05. Februar 2011 dargelegt hat.
Darin beschrieb er, dass im Bereich des organisierten Rechtsextremismus ein Anstieg der Mitgliederzahlen der sogenannten „freien Kameradschaften“ zu verzeichnen ist.

Wir wissen, dass die Ursachen für das Entstehen von Rechtsextremismus wie auch seine Erscheinungsformen komplex sind.

Der Politikwissenschaftler Richard Stöss führt als Ursache für Rechtsextremismus aus: „Rechtsextremismus wird durch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse erzeugt und nicht umgekehrt“.

Die neue Studie des FES zeigt, dass politische, soziale und ökonomische Deprivation weiterhin stattfindet.
Die Menschen fühlen sich ausgegrenzt und nicht als politisch handelnde Akteure.

Wer sich auf der gesellschaftlichen Erfolgsskala als Verlierer sieht, der unterliegt einem höheren Risiko, sich auf andere Weise Anerkennung und Selbstbestätigung zu verschaffen - etwa in einer Gruppe, die sich über eine vermeintliche „rassische Überlegenheit“ abzugrenzen versucht.

Hieraus folgt, dass mit den Mitteln der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung menschenfeindlicher und rassistischer Einstellungen geleistet werden muss.

Appelle und Aufklärungsmaßnahmen sind zwar schnell konsensfähig. Sie reichen aber ohne sozialpolitische Flankierung nicht aus. Auch ist die Verengung auf repressive Formen der Auseinandersetzung keine hinreichende Antwort.

Die Zustimmung zur Demokratie in Deutschland ist nach den Ergebnissen der Studie bedenklich niedrig. Und dies, Anrede, müssen wir dringend ändern!

Gefordert ist ein integratives, auf Stetigkeit ausgerichtetes, Konzept, das neben repressiven sowohl sozial- als auch bildungs- und integrationspolitische Maßnahmen einschließt und das darüber hinaus Menschen zu zivilgesellschaftliche Aktivitäten ermuntert und diese unterstützt.

So sinnvoll Aufklärungsmaßnahmen an Schulen sind, so richtig es ist, den Rechtsextremisten mit Zivilcourage entgegenzutreten, und so hilfreich Aussteigerprogramme in Einzelfällen sind - als isolierte Maßnahmen ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept, das den gesellschaftlichen und sozialen Entstehungsbedingungen Rechnung trägt, verlieren diese Handlungsansätze an Wirkung.

Anrede, wir müssen darüber hinaus endlich deutlich machen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Deshalb muss Integration ein Schwerpunkt unseres politischen Handelns sein.

Integration muss aus unserer Sicht politische Partizipation einschließen. Es muss daher das Ziel sein, die Vorraussetzungen für eine gleichberechtigte soziale und demokratische Teilhabe aller Menschen sicherzustellen.

Nicht nur aus einer unzulänglichen Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln können soziale Probleme resultieren, auf die dann auch Rechtsextremisten und Populisten mit menschenfeindlichen Parolen und Forderungen reagieren.

Auch bei Menschen mit deutscher Herkunft treten, wenn Sie von sozialen Verwerfungen betroffen sind, Integrationsprobleme innerhalb unserer Gesellschaft auf.

Daher ist eine willkürliche Einteilung der Menschen unserer Gesellschaft in „wir“ und „die anderen“ kontraproduktiv, weil diese Sichtweise Menschen ausgrenzt und mit dazu beiträgt, dass sich Vorurteile verfestigen können.
Anstatt nur die Defizite anzuprangern, sollten wir die Chancen einer Einwanderungsgesellschaft hervorheben und besser nutzen.

Anrede, ich muss aber noch einmal darauf hinweisen, dass sich im Rechtsextremismus auch die Islamophobie zu einem organisationsübergreifenden Ideologieelement entwickelt hat. Dies eignet sich dazu, muslimfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung aufzugreifen.

Deshalb muss die Auseinandersetzung mit dem Islam ausgesprochen differenziert erfolgen, damit muslimfeindliche Grundstimmungen nicht weiter angeheizt werden.

Anrede, eine Reduzierung auf einen Dialog zwischen den Religionen reicht bei Weitem nicht aus. Nicht alle Menschen, die Glaubensgemeinschaften angehören, praktizieren ihren Glauben aktiv im Alltag. Darüber hinaus werden bei diesem Dialog Menschen, die bewusst keiner Glaubensgemeinschaft angehören, ausgegrenzt.

Sogenannte Integrationsdefizite haben immer gesellschaftliche Ursachen. Es ist nicht nur ein Problem von Menschen mit ausländischen Wurzeln. Integrationspolitik muss deshalb eine Querschnittsaufgabe sein, die alle gesellschaftlichen Ebenen umfassen muss.
Wir müssen Alternativen in der Innenpolitik, der Bildungspolitik, der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Jugendpolitik und der Stadtentwicklung erarbeiten.
Eine Verbesserung der sozialen und bildungspolitischen Förderung, besonders im frühkindlichen Bereich, ist erforderlich, um für alle eine gelungene Integration erreichen zu können.

Und hier setzen wir mit unserem Antrag an.
Ursachen einer unzureichenden Integration von Menschen dürfen nicht an deren Herkunft oder ihrer Religionszugehörigkeit festgemacht werden.

Die Werte unserer Gesellschaft werden nicht allein durch die Wertvorstellungen des Christen- und Judentums und den Islam verkörpert, sondern sind im gleichen Umfang auch durch die Gedanken des Humanismus und der Aufklärung geprägt.

Im Januar dieses Jahres haben wir die Landesregierung aufgefordert, differenziert auf die jeweiligen Ursachen, ideengeschichtlichen Zusammenhänge der einzelnen Extremismusformen einzugehen. Gleichsetzungen müssen vermieden und unterschiedliche Handlungsansätze gegen Rechtsextremismus und Linksextremismus entwickelt werden.

Deshalb unterstützt die SPD-Landtagsfraktion den Protest zahlreicher Träger von Projekten auf Bundesebene gegen die vom Bundesfamilienministerium verlangte Unterzeichnung der so genannten „Demokratieerklärung gegen Extremismus“.

Von Ministerin Schröder wird eine Gleichsetzung der Extremismusformen vorgenommen und deren ideengeschichtlichen Unterschiede außer Acht gelassen.

Anrede, wer den Initiativen gegen Rechtsextremismus die Beweislast für die demokratische Gesinnung der bei ihnen Mitarbeitenden übertragen will, der sät eine Kultur des Misstrauens! Es wird ein Klima erzeugt, in dem Engagement und Zivilcourage nicht gestärkt, sondern geschwächt werden.

Denn dadurch werden Projekte, deren Partner und alle für sie arbeitenden Personen, die sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagieren, unter einen Generalverdacht gestellt, und das, Anrede, ist ein Skandal!

Die SPD-Landtagsfraktion fordert die Landesregierung auf, endlich ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie vorzulegen.

Es muss u. a. eine Bildungsoffensive gegen rechtsextremes Gedankengut beinhalten.

Wir wollen die Wiedererrichtung der Landeszentrale für Politische Bildung und die Förderung von Politikunterricht an Schulen, mit dem Ziel, über die Ursachen von Rechtsextremismus aufzuklären. Dafür bedarf es einer Änderung des Curriculums.

Unter dem Lernziel Demokratie ist Menschenrechtsbildung und die Förderung von Demokratieerfahrung an Schulen auszubauen. Ein zentraler Indikator für eine tolerante und weltoffene Gesellschaft ist der Umgang mit „Schwächeren“ innerhalb unserer Gesellschaft.

Notwendig ist eine Erweiterung der Erzieher- und Lehrerausbildung in Studium und Weiterbildung in Menschenrechtsbildung, interkultureller Kompetenz und Demokratievermittlung.

Und die Förderung von Toleranz und respektvollem Umgang in schulischer und vorschulischer Erziehung sowie die Förderung von Medienkompetenz an Schulen und in der Jugendarbeit.

Wir wollen weitere Angebote und den Ausbau von Familienzentren, Gesamtschulen und die Förderung von Ganztagsangeboten.
Darüber hinaus setzen wir uns für die Schaffung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes und die Förderung und den Ausbau eines qualifizierten Arbeitsplatzangebotes auf dem Arbeitsmarkt ein.

Wir fordern den Ausbau und die Förderung von Beteiligungsrechten der Mitarbeiter/innen in Betrieben und Verwaltungen, eine Humanisierung der Arbeitswelt und die Weiterbildung der Mitarbeiter/innen in interkultureller Kompetenz.

Die SPD-Landtagsfraktion setzt sich ein für die Einführung eines niedrigschwelligen Zugangs zu Kulturangeboten, insbesondere Angebote im Bereich Sport, Musik und Theater.
Die Politik hat auch eine Verpflichtung bei der Unterstützung der öffentlich-rechtlichen und privaten Medien (Rundfunk, Fernsehen) wenn es um die Umsetzung und den Ausbau ihres öffentlichen Bildungsauftrages geht.

Anrede, lassen Sie mich kurz noch auf den Antrag zum Thema „Gemeinsam gegen Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit - Ein Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte“ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingehen.
Sie fordern mit ihrem Antrag die Landesregierung auf, ebenfalls Erkenntnisse aus den schon erwähnten Studien zu ziehen.

Mit ihrem sehr detaillierten Zehn-Punkte-Programm haben sie ein Handlungskonzept vorgelegt, welches schlüssig scheint und in den meisten Punkten unsere Zustimmung erhalten kann.

Sie fordern z. B. die Bündelung und Ergänzung bereits bestehender Maßnahmen und Programme gegen Rechtsextremismus.
Sie wollen den Landespräventionsrat zu einer zentralen Koordinationsstelle für Demokratie und Menschenrechte ausbauen.

Durch die Errichtung eines Landesbeirates wollen Sie die politische Arbeit der Landesregierung kritisch und fördernd begleiten.

Auch ihre weiteren Vorschläge werden wir intensiv auf deren Umsetzbarkeit prüfen.
Anrede von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wir stimmen vielen ihrer im Antrag vorgelegten Maßnahmen zu und ich freue mich auf die intensive Beratung beider Anträge im Fachausschuss.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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